Seit vielen
Jahren befindet sich die Medienbranche in einem durch die Digitalisierung der
Gesellschaft ausgelösten Wandel. Viele bestehende Geschäftsmodelle werden
zwangsläufig durch neue ersetzt. Um in einem solchen Umfeld langfristig
erfolgreich agieren zu können, ist ein proaktives Entscheiden im Speziellen und
ein proaktives Management im Allgemeinen erforderlich. Hierzu muss ein
Unternehmen jedoch sehr genau seine Ziele kennen. Bei vielen Unternehmen in der
Medienbranche, insbesondere bei kleinen und mittelständischen, ist dies häufig
nicht der Fall. Diese werden zumeist von Inhabern geführt, die sich „auf ihren
Bauch“ verlassen, und sehr genau zu wissen meinen, wohin sie ihr Unternehmen
steuern müssen. Allerdings sind dadurch Ziele für Mitarbeiter häufig sehr
intransparent. Wie sollen die Mitarbeiter jedoch gute Arbeit leisten, wenn
ihnen gar nicht klar ist, was sie eigentlich erreichen sollen? In einer
Branche, die sich im Wandel befindet, ist es ja keinesfalls ausreichend,
einfach das zu machen, was schon immer gemacht wurde.
In einem praxisorientierten Forschungsprojekt der Universität Bayreuth haben
Prof. Siebert, Prof. Kunz und Herr Mütterlein für ein mittelständisches
Unternehmen in der Medienbranche eine Balanced Scorecard auf Basis von Value-focused
Thinking entwickelt. Im Zuge der Anwendung dieses weit verbreiteten
Managementinstruments Balanced Scorecard liegt die besondere Herausforderung in
einer umfassenden und systematischen Erfassung der relevanten Ziele und
Zielbeziehungen. Jedoch gibt es nur wenige Manager, die Erfahrung mit der
Erstellung und Interpretation der teilweise sehr differenzierten
Mittel-Ziel-Netzwerke haben. Vor diesem Hintergrund wurde eine Vorgehensweise
zur Entwicklung und Anpassung einer Balanced Scorecard unter Einsatz von
Techniken zur Identifikation von Zielen und Zielbeziehungen mit Value-focused
Thinking entwickelt. Nachfolgend findet sich eine kurze Beschreibung der sechs
empfohlenen Schritte (siehe Siebert und Kunz 2016).
- Im ersten Schritt erfolgt die Identifikation von Zielen und Zielbeziehungen durch Interviews mit den Entscheidungsträgern und weiteren Mitarbeitern in Schlüsselpositionen der Organisation. Hier kommen Techniken und Methoden des Value-focused Thinking, wie z. B. die Identifikation von Ketten von Zielen (Leitfrage: Warum ist das Ziel wichtig?), zum Einsatz.
- Im zweiten Schritt erfolgt die Strukturierung der Ziele. Im Zuge dessen werden zunächst die von den Entscheidungsträgern artikulierten Ziele aggregiert, redundante Ziele eliminiert und die verbleibenden Ziele klassifiziert. Anschließend wird ein differenziertes Mittel-Zweck-Netzwerk unter Berücksichtigung von Strukturierungstechniken des Value-focused Thinking erstellt.
- In einem dritten Schritt werden Zielcluster identifiziert, die sich dadurch auszeichnen, dass die Ziele eines Clusters mehr Beziehungen untereinander als zu Zielen anderer Cluster aufweisen.
- Im vierten Schritt dienen die wichtigsten Ziele der einzelnen Cluster als Grundlage zur Formulierung der Mission, Vision und der Strategie des Unternehmens.
- Im fünften Schritt erfolgt das Design der Balanced Scorecard. Hierzu werden einzelne oder mehrere Cluster als Perspektive einer Balanced Scorecard interpretiert. Darüber hinaus werden die jeweiligen Ziele identifiziert und Zielbeziehungen modelliert. Um den Erfolg des Unternehmens messbar zu machen, werden die Ziele mithilfe geeigneter Kennzahlen operationalisiert. Damit ist die erstmalige Erstellung einer Balanced Scorecard abgeschlossen.
- In einem sechsten Schritt wird die Balanced Scorecard überwacht und, wenn nötig, an Veränderungen der Unternehmensumwelt oder des Unternehmens angepasst. Dabei könnten beispielsweise einzelne Ziele in der Balanced Scorecard durch andere Ziele im Mittel-Zweck-Netzwerk ausgetauscht werden.
Eine auf diese
Weise erstellte Balanced Scorecard weist eine interessante Besonderheit auf.
Experimente haben erwiesen, dass Ziele einen effektiven Stimulus für die
Entwicklung von Alternativen darstellen können (Siebert und Keeney 2015). Wenn
das Management feststellt, in einem bestimmten Bereich Änderungen herbeiführen
zu müssen, beispielsweise in der Kundenperspektive, dann bietet eine klassisch
erstellte Balanced Scorecard ca. vier bis sechs Ziele als Ansatzpunkte zur
Entwicklung von Alternativen. Die von uns entwickelte Vorgehensweise erlaubt
hingegen, beliebig tief in die Zielbeziehungen „hinein zu zoomen“. Die Ziele,
die in der Balanced Scorecard Berücksichtigung finden, können als Berge in
einer Landschaft verstanden werden. Je nach Detaillierungsgrad des Mittel-Zweck-Netzwerks
können dessen Ziele hierbei als Hügel oder Ebenen angesehen werden. Für die
Frage, inwiefern eine bestimmte Kennzahl verbessert werden kann, ist es ohne
großen Aufwand möglich, einen Teilausschnitt des differenzierten
Mittel-Zweck-Netzwerks heranzuziehen. Aufgrund des Novitätsgrads, der
differenzierten Fallstudie und der letztlich einfachen Methode wurde das
Projekt für das Finale des Practice Award der Decision Analysis Society des
Institute for Operations Research and the Management Sciences (INFORMS) im
Jahre 2013 nominiert.
Zu dieser Thematik sind drei Artikel entstanden, die sich an unterschiedliche
Zielgruppen wenden. [1] bietet einen guten Einstieg und ist für interessierte
Praktiker geschrieben. Hier finden sich auch Handlungsempfehlungen zur
eigenständigen Umsetzung. [2] beschäftigt sich mit der theoretisch
konzeptionellen Herleitung der Methode. Der Artikel ist so geschrieben, dass
ein interessierter Praktiker weitere differenzierte Hinweise zur Methode
bekommt. [3] rückt besonders die Fallstudie bei einem mittelständischen
Medienunternehmen in den Vordergrund. Hier finden Interessierte die Methode
Schritt für Schritt detailliert angewendet. Besonders relevant ist dieser
Artikel für alle, die sich mit Medien beschäftigen, da die Ziele von
Medienunternehmen grundsätzlich relativ große Schnittmengen aufweisen. Die
Unterschiede liegen zumeist hauptsächlich in der Gewichtung eben dieser.
Literatur
- [1] Siebert, Johannes; Kunz, Reinhard. „Die Entwicklung einer Balanced Scorecard mit Value-focused Thinking am Beispiel eines Medienunternehmens“. Zeitschrift für erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung, Heft 3, 2016, 210-215. (Link)
- [2] Kunz, Reinhard; Siebert, Johannes; Mütterlein, Joschka. “Combining Value-Focused Thinking and Balanced Scorecard to Improve Decision-Making in Strategic Management”. Journal of Multi-Criteria Decision Analysis, September-December 2016, 225-241. (Link)
- [3] Kunz, Reinhard; Siebert, Johannes; Mütterlein, Joschka. „A Media-Specific Balanced Scorecard Based on Value-Focused Thinking“, Journal of Media Business Studies, 13(4), 2016, 257-275. (Link)